Interview mit einem Straßenbahnfahrer
Lokomotivführer gehört zu den Berufen, der den Kindheitstraum vieler Menschen repräsentieren dürfte. Straßenbahnfahrer bewegen sich ebenso auf Schienen, jedoch in der Regel im innerstädtischen Verkehr. Der hier erzählende Straßenbahnfahrer gibt Einblicke in den Ablauf seines Betriebes, in den Umgang mit Fahrgästen und vor welchen Herausforderungen er steht, wenn er im Dienst seine Notdurft verrichten möchte.
Das Interview findet mittags nach Ende seiner Schicht im einfach gehaltenen Aufenthaltsraum des Betriebs neben den Umzugskabinen statt, wo einige Fahrer sitzen, um miteinander zu reden, Zeitung zu lesen oder in Ruhe ihr mitgebrachtes Essen einzunehmen. Er ist Anfang vierzig, ledig und besitzt zwei Hunde. Sein kurpfälzischer Dialekt ist unverkennbar.
Ich bin im Jahre 1986 Straßenbahnfahrer geworden. Mein Onkel riet mir damals dazu, zur Straßenbahn zu gehen, da man dort sauber hingehe und sauber wieder nach Hause käme. Ich bin dann mal bei einem Nachtdienst mitgefahren und schaute mir den Job genau an. Ich war 23 Jahre alt und sie wollten mich zuerst nicht nehmen, weil ich zu jung war. Damals lag die Altersbeschränkung noch bei circa 24 oder 25 Jahren und man brauchte einen IIIer oder IVer Führerschein, sowie eine abgeschlossene Berufsausbildung. Mich nahmen sie aber dennoch, was durch Beziehungen zu Stande kam. Durch das Führungszeugnis meines ersten Arbeitgebers war man mit mir sehr zufrieden. Das brachte mir ebenso Vorteile. Mir macht die Arbeit immer noch großen Spaß und ich bereue die Berufswahl nicht. Ich springe auch jederzeit ein, wenn ein Fahrer gebraucht wird, obwohl ich aufgrund des ständigen Sitzens bereits eine Bandscheibenoperation hinter mir habe.
An meinem Beruf erfreut mich einerseits der Umgang mit den Menschen und andererseits generell das Fahren, egal mit welchem Gefährt. Ich fahre unglaublich gerne, auch im Bus – und ich bekomme die Fahrten ja sogar bezahlt. Aber das Straßenbahnfahren ist eine schwere Sache: Das Bremsen muss gelernt sein. Jeder kann die Kurbel bedienen oder den Fahrschalter, aber nicht jeder kann bremsen oder auch anfahren. Denn man muss beispielsweise aufpassen, dass die alten Menschen in der Bahn nicht umkippen.
In der Ausbildung habe ich so viel Mist lernen müssen, über den man hinterher, wenn man das erste Mal alleine gefahren ist, nur noch lachen kann. Das waren Sachen, die ich nach der Ausbildung nie wieder gebraucht habe. So mussten wir zum Beispiel alle Haltestellen lernen. In der Prüfung musste ich Haltestellen vorwärts und rückwärts aufsagen – und ich wusste gar nicht, welche Linie als nächstes dran kam. Heute lache ich darüber. Schließlich lernt man diese doch eh später, wenn man mit der Bahn auch wirklich fährt. Von einem uralten Straßenbahnfahrer, der hier noch in der Gegend wohnt, habe ich viel gelernt, anders als in der Ausbildung, bei der man heute im Schnellverfahren von allem ein bisschen durchnimmt. Ich hatte noch eine lange Ausbildung inklusive Lehrfahrten; vieles davon gibt es heute nicht mehr. Die Ausbildung ist ja mit Kosten verbunden.
Verspätungen
Auf einer Straßenbahnlinie habe ich an der Endstelle vierzig Minuten Pause, komme dort aber erst mit zehn Minuten Verspätung an. Wenn ich mir dann in der Kantine etwas zu essen holen möchte, stehen mir dort bereits alle Büroarbeiter vor der Nase und ich vom Fahrdienst stehe hinten an. Ich bekomme mein Essen so spät, dass ich meine Wurst auf dem Weg zurück zur Straßenbahn essen muss. Auf einer anderen Linie komme ich ebenfalls meist mit Verspätung an der Endstelle an und hätte dort dann eigentlich Pause. Ich darf aber nur, weil sich die Anwohner dauernd beschweren, mit maximal 7 km/h in die Endstelle einfahren, da es sonst zu laut wäre. Die Pause kann ich wieder nicht nehmen, da an der Endstelle bereits die nächsten Fahrgäste einsteigen. Ich kann noch nicht mal auf Toilette gehen, da man eine Straßenbahn nicht alleine lassen darf und ich darüber hinaus ständig am Funk bleiben muss. Man hat für nichts Zeit und manchmal muss ich die Wendeschleife sofort wieder verlassen, weil eine nachfolgende Bahn auch Verspätung hat. Das geht schon an die Nerven, und wenn man die nicht hat, sollte man diesen Job lieber bleiben lassen. Solchen Leuten würde ich nie empfehlen, Straßenbahn zu fahren.
Neulich war ich in einer anderen Stadt, dort gab es für die Straßenbahnen nur grüne Welle, während man in meiner Stadt an jeder roten Ampel aufgrund irgendeiner Sperrung stehenbleiben muss. Manchmal geht das auf der ganzen Strecke so und dann fragen sich die Leute, warum „diese blöden Fahrer“ andauernd Verspätung haben. Jetzt wollen sie im Spätverkehr eine Bahn weniger fahren lassen. Weil sich der Nachtverkehr dadurch direkt an die Spätfahrten anschließt, bedeutet das für uns, dass wir zwischen diesen zwei Fahrten nun keine Pause mehr haben.
Gefahren und Herausforderungen
Mit einer etwas älteren Straßenbahn von zweiundzwanzig Tonnen Leergewicht kann es mir passieren, dass ich an einer Haltestelle bremse und kurz bevor die Straßenbahn zum Stehen kommt, diese einen Satz nach vorne macht und sich nicht anhalten lässt – das ist wie Glatteis. Aus diesem Grund haben wir Sand in den Straßenbahnen, den wir ablassen können, um Haftung zu kriegen. Viele Leute wissen jedoch nicht um die Gefahr, dass wir nicht immer so leicht bremsen können und gerade die zentrale Umstiegshaltestelle in der Stadt gleicht einem Hühnerhof. Wenn wir dort nicht aufpassen, würde jeden Tag ein Mensch unter die Straßenbahn geraten. Diese acht Stunden Konzentration oder auch der geteilte Dienst, das heißt ich fahre morgens ein paar Runden, habe dann vier bis fünf Stunden Pause und muss abends nochmal fahren, kann mich schon fertig machen, denn man ist quasi von morgens bis abends im Verkehr. Es kann auch sein, dass ich an einem Tag einen Dienst bis halb neun abends habe und am nächsten Tag morgens um sieben Uhr schon wieder die nächste Fahrt antreten muss. Als ich das dem Betriebsarzt erzählt habe, zu dem ich als Straßenbahnfahrer alle drei Jahre muss, fragte er mich nur, warum mir das denn was ausmachen würde, denn die anderen kämen damit ja auch zurecht. Und wenn ich mit solchen Problemen zum Betriebsrat gehe, sagt man mir nur, ich solle doch froh sein, dass ich Arbeit habe. Ich habe in zwanzig Jahren nicht einmal etwas Auffälliges wie eine Krankheit gehabt und den Dienst immer gerne gemacht. Und dann solche Antworten.
Fahrgäste
Es ist wahnsinnig, wie stark die Fahrgastzahlen zugenommen haben. Daher fahren morgens vier Straßenbahnen im kurzen Abstand hintereinander. Die Fahrgäste steigen aber alle in die erste Bahn ein, sodass diese dann extrem voll sind und die letzten beiden leer hinterher fahren. Mittags nach der Schule gegen eins fahren mit uns die Schüler – das sind extrem viele – abends hingegen ist das Publikum eher gemischt. Wenn man aus einem bestimmten Viertel kommt, sind auch viele Ausländer unter den Fahrgästen. Da habe ich nichts dagegen, solange sie mich in Ruhe lassen und sich anständig benehmen.
Die Fahrzeiten in der Straßenbahn sind oft länger als erwartet, denn es dauert zum Beispiel immer eine Weile, bis eine ältere Dame in eine alte Straßenbahn hineingekommen ist. Eigentlich versuche ich ihnen ja zu helfen, aber mittlerweile frage ich vorher immer nach, da ich bei meinem Versuch, zu helfen, des Öfteren angeschrien wurde. Einige Leute wollen nicht, dass man sie anfasst oder ihnen hilft. Es gibt zwar auch modernere Straßenbahnen, bei denen man eine Rampe ausfahren kann, aber auch das geht nur an gekennzeichneten Haltestellen. Auf einer meiner Linien sind das gerade mal fünf. Wenn dort jemand mit einem Rollstuhl an einer rampengerechten Haltestelle einsteigt und an einer anderen Haltestelle aussteigen will, an der das nicht geht, dann habe ich ein Problem. Manchmal muss ich ihnen dann einfach sagen, dass die Rollstuhlrampe kaputt ist – und dann tun diese Menschen mir leid.
Eine Frau wollte mal mit meiner Linie fahren, war aber an der Haltestelle zu faul, zu meiner Bahn zu laufen, sondern hat vorne gewartet. Ich bin dann durchgefahren, da ich einen Haufen Verspätung hatte. Sie ist dann mit einer anderen Linie hinterher gefahren, ist an der nächsten Haltestelle ausgestiegen, zu meiner Straßenbahn gerannt und wollte mich beschimpfen. Da habe ich sie gefragt, warum sie nun auf einmal rennen kann und das an der vorhergehenden Haltestelle nicht konnte. Sie hat nicht aufgehört gegen mich zu wettern und hatte eine wahnsinnige Wut. Man darf den Fahrgästen in solchen Situationen aber nicht blöd kommen, sonst beschweren sie sich. Aber diese Frau hat sich sogar hinterher bei mir entschuldigt und daher denke ich, dass man solche Probleme manchmal auch durch einen guten Konter aus der Welt schaffen kann. Wenn ich ein Problem mit einem Fahrgast habe, gehe ich einfach zu ihm und versuche das Problem durch miteinander sprechen zu klären. Mich hört man daher auch selten am Funk, es sei denn, es wird ein Arzt benötigt oder so etwas in der Art.
Ich habe immer auch ein Fahrplanbuch dabei, da manche Menschen einfach zu faul sind, ihren Fahrplan mitzunehmen. In einem anderen Buch, das ich immer mitführe, steht, wo die einzelnen Geschäfte in der Stadt sich befinden, da die Fahrgäste mich auch häufig so etwas fragen. Diese Dinge habe ich mir alle selber angeeignet, damit ich nicht dauernd über Funk die Kollegen fragen muss. Somit wissen alle Kollegen, dass, wenn der Funk benutzt wird, es auch etwas wirklich Wichtiges zu besprechen gibt. Wenn ein Fahrgast höflich fragt, bin ich jedoch auch gerne bereit, einen Funkanruf durchzuführen. Aber nicht, wenn dieser mich schon beim Fragen blöd anmacht. Solchen Leute sage ich dann, dass ich kein Telefonist bin und der Funk nur für Notfälle und nicht für irgendwelchen Mist gedacht ist. Wenn ich irgendwo hinfahren möchte, informiere ich mich auch vorher über meine Verbindung und fahre nicht auf gut Glück.
Heutzutage ist es häufig so, dass man im Dienst acht Stunden am Tag von den Fahrgästen angepöbelt wird. Einige Fahrgäste sind ziemlich unfreundlich. Jemand stieg mal an einer Haltestelle ein, befahl nur kurz sein Ziel, bezahlte sein Ticket, fragte, ob es noch abgestempelt werden muss, und beschwerte sich abschließend, dass die Fahrpreise immer teurer werden. Hinzu kam, dass er gar nicht wusste, wohin meine Bahn fuhr und dass sie nicht an seiner Haltestelle hielt. Dafür wollte er mich dann verantwortlich machen und ich versuchte ihm zu erklären, dass ich zwar für jedes Ziel Fahrkarten verkaufe könne, aber nicht jedes Ziel anfahren könne. Das hat er, glaube ich, verstanden. Über solche Kleinigkeiten kann man aber noch lachen. Und ich muss über so etwas auch lachen, denn sonst kriege ich es irgendwann an den Nerven, wenn ich mich acht Stunden lang nur aufrege. Ein Straßenbahnfahrer, der so etwas nicht kann, sollte den Beruf daher lieber nicht ausüben.
Ich bin dennoch froh, dass wir die Fahrscheine noch verkaufen, denn sonst hätten wir gar keinen Kontakt mehr zu den Leuten. Bei den moderneren Bahnen einer anderen Verkehrsgesellschaft sitzt man abgeschottet in einer Kabine. Ich bin dort mal mitgefahren und es stieg eine ältere Dame ein, die nicht wusste, ob man den Fahrer etwas fragen kann. Sie hat sich nicht getraut und klopfte ganz vorsichtig, woraufhin der Fahrer nur ganz barsch reagierte. Dem hätte ich eine klatschen können, so etwas würde ich nie machen. Ich würde dann zur nächsten Haltestelle fahren, das Fenster der Kabine runtermachen und der Frau helfen, so gut ich kann. Er hat das zwar auch gemacht, aber in einem anderen Ton. Und der Ton macht ja bekanntlich die Musik. Viele Leute kennt man, da es auch bei der Straßenbahn Stammkunden gibt. Von denen kriegt man vielleicht sogar mal eine frische Brezel oder eine Tafel Schokolade zu Weihnachten. Da freue ich mich.
Eine andere Frau hat andauernd Blödsinn in der Bahn gemacht, aber sie hat mir öfters mal einen Döner am Bahnhof geholt oder Muffins. Wir Straßenbahnfahrer kannten diese Frau alle sehr gut. Sie ist nach einiger Zeit an Krebs gestorben. Wir haben für sie eine Annonce aufgesetzt und sind alle zusammen zu ihrer Beerdigung gegangen, in Uniform, damit man sieht, wer wir sind. Der Pfarrer hat sich noch für unseren Besuch bedankt und die Verwandtschaft, größtenteils Amerikaner, konnten es kaum glauben, dass wir so gut zusammenhalten. Eine andere alte Dame hat ihr Gebiss in der Bahn verloren und ich hab ihr dann ermöglicht, dass sie es abwaschen kann. Dies sind die Momente, die den Dienst wesentlich schneller vorbeigehen lassen. Das in den offenen Straßenbahnen ist eine schöne Zeit und man hat auch noch Kontakt zu den Leuten, während manche Fahrer in den moderneren Bahnen ihre Kabine dicht machen, sodass man sie gar nicht mehr ansprechen kann. Solange wir aber noch Fahrscheine verkaufen, hat man, außer nur zu fahren, noch etwas Zusätzliches zu tun. Ich bin froh, neben dem Fahren auch etwas anderes zu tun. Ich nehme als Beispiel die Rechtschreibung. Ich muss nur so wenig in meinem Beruf schreiben, dass ich Probleme habe, in wichtigen Situationen richtig zu schreiben.
Wenn ich lesen will, habe ich Probleme mit der Brille, da ich mit meiner neuen Brille doppelt sehe. Ich darf sie aber von Berufs wegen auch nicht absetzen. Aber wie soll ich Straßenbahn fahren, wenn ich die Ampel doppelt sehe? Also habe ich die Brille bereits zu Hause aufgesetzt, um mich daran zu gewöhnen, was dazu führte, dass ich die Kellertreppe herabgeflogen bin, da ich die Stufen doppelt gesehen habe. Das ist eine große Umstellung, aber ohne die Brille kann ich keinen Fahrplan mehr lesen oder eine Meldung schreiben. Aber es gibt schlimmeres, oder?
Kosteneinsparung und Umstrukturierung
Mir ist es egal, mit welcher Bahn ich herumkurve. Wenn ich aber mit einer alten Bahn unterwegs bin, muss ich die Haltestellen immer ausrufen. Das mag ich nicht. Anscheinend ist es zu teuer, das Kabel für die Sprechanlage durch die Bahn zu ziehen, denn es muss ja überall Geld gespart werden. In einem anderen Fall habe ich mich mit einem Teamleiter über die Baustellen-Plastiktoiletten an einer Endstelle unterhalten, denn ich muss dort mit diesen bereits seit zwanzig Jahren vorlieb nehmen. Es ist nämlich dem Bürgermeister der entsprechenden Gemeinde zu teuer, eine Wasserleitung dorthin zu legen. Ich denke nicht, dass sich da noch etwas ändern wird.
In einigen Stadtteilen parken die Einwohner regelmäßig den Schienenbereich zu. Da haben wir Fahrer uns sogar dafür eingesetzt, dass dort ein weißer Streifen gemalt wird. Wenn ich Nacht- oder Frühschicht habe und mit einer modernen Bahn unterwegs bin, welche relativ breit ist, muss ich dort Schritttempo fahren oder sogar aussteigen und den Spiegel der Autos einklappen. Eigentlich darf ich das gar nicht machen. Zusätzlich haben die moderneren Bahnen relativ große Blinker, mit denen man auch hängen bleiben kann. Wie oft musste ich schon mit der Straßenbahn dort stehen bleiben und mit einem Abschleppwagen die Autos wegfahren lassen, sodass sich hinter mir sechs oder acht Straßenbahnen gesammelt haben. An dieser Situation tut sich einfach gar nichts. Die Stadtverwaltung möchte dort einfach keinen weißen Streifen haben und so muss ich mich immer am Augenmaß orientieren, ob ich mit der Bahn noch vorbei komme oder nicht. Der Bürgermeister will dazu auch nichts sagen – und ich habe nicht mehr weiter nachgefragt. Ich bin manchmal wirklich froh, wenn ein achtstündiger Arbeitstag vorbei und nichts passiert ist.
Die Stimmung unter den Arbeitskollegen ist sehr schlecht geworden. Früher waren wir in bestimmte Teams von elf Leuten eingeteilt und das hat immer gut funktioniert. Wir haben zusammen Kaffee getrunken und Blödsinn gemacht. Da wusste man auch sofort, welcher faule Sack wieder zu Hause saß, für den man einspringen musste, wenn er nicht kam. Irgendwann haben sie aber angefangen, diese Teams zu zerrupfen, niemand weiß warum. Seitdem guckt jeder nur noch auf sich und wie er dem anderen eins reinwürgen kann. Dieses Zerrupfen des Betriebes will keiner der Mitarbeiter. Nun hat der Betrieb auch ein Stundenbuch eingeführt, von dem ich nicht weiß, was das bezwecken soll, denn dort kann ich eintragen, wann ich fahren möchte, was aber gar nicht unbedingt berücksichtigt wird.
Ich kann heute froh darüber sei, wenn die Lohnsicherung noch bis nächstes Jahr besteht und ich dann nicht 200 oder 300 Euro weniger verdiene. Das ist eine Unverschämtheit, dass die Chefetage in meinem Beruf, der so anstrengend ist und so viel Verantwortung erfordert, noch die Löhne kürzen will. Ich bin nämlich aufgrund des Geldes zu diesem Beruf gekommen, denn in meinem früheren Beruf, ich war Gärtner, habe ich lediglich 1.200 DM, also circa 600 Euro, verdient – das war nichts.
Jetzt auf einmal werden Teamleiter eingeführt. Wenn früher etwas nicht stimmte, dann sind wir zum Verkehrsmeister gegangen, welcher sich um das Problem gekümmert hat. Heute sitzen jeweils ein Teamleiter und ein Verkehrsmeister in einer Teamsitzung. Wenn sich wenigstens etwas tun würde und man nicht drei Jahre warten muss, bis sich etwas tut, dann würde ich mich auch sofort für einen Teamleiter aussprechen. Aber ich erkenne den Nutzen nicht. Wenn wir immer Verspätungen haben und von den Fahrgästen angemeckert werden, weil sie ihre Züge bekommen müssen, kann ich von diesem neuen System mit Teamleitern nicht von Erfolg sprechen. Ich mag Teamsitzungen nicht und bin froh, wenn sie vorüber sind. Dort wird nur durcheinander geredet sodass man sich gegenseitig gar nicht versteht. Das ist wie im Kindergarten! Ich bin ein ruhiger Mensch und mir fällt es schwer, mich ich solchen lautstarken Teamsitzungen äußern zu können.
Dienstzeiten eines Straßenbahnfahrers
Die Frühdienste sind hart. Sie dauern bis viertel vor zehn, meistens trinke ich danach noch einen Kaffee mit guten Kollegen und fahre dann nach Hause. Wenn ich morgens um sieben Uhr Dienst habe, muss ich bereits um fünf oder sechs Uhr aufstehen, weil ich nicht unbedingt weiß, wie es beim Aufwachen meinem operierten Kreuz geht.
Es gibt viele Leute, die gerne den geteilten Dienst mit einigen Stunden Pause haben, damit sie zum Beispiel abends mir ihrer Frau essen können. Mir ist hingegen der lange Mittagsdienst bis abends um halb zehn lieber. Ich mache zwar auch meine Frühdienste, aber vier Frühdienste hintereinander ist hart, gerade im Sommer, wenn es früh morgens schon hell wird und ich bei 35 °C in der Bahn sitzen muss. Außerdem muss ich für den Frühdienst um drei Uhr nachts aufstehen und ich schaffe es nicht immer, vorher ausreichend zu schlafen. Man gewöhnt sich aber daran.
Busfahren als Alternative?
Der Abwechslung halber würde ich schon gerne mal Bus fahren; den Schein dafür habe ich daher schon gemacht, auch wenn er nur innerbetrieblich gilt. Das soll mir aber egal sein, da ich hier gar nicht kündigen oder weggehen will. Man kommt aber mit dem Bus in der Innenstadt auch nicht überall problemlos durch, obwohl immer gesagt wird, dass Busfahren schöner ist, da man mehr Pausen hat. Ich habe bei der Straßenbahn meine Spur, in der ich fahre, während der Busfahrer im Winter in einer Bergsiedlung festsitzen kann, da er Schneeketten anfordern muss. Bei der Straßenbahn sind die Probleme anders. Viele Leute schaufeln ihren Schnee auf die Schienen, weil sie glauben, die Straßenbahn könnte ihn wegschieben, dabei kann sie genauso stecken bleiben. Es gibt bei uns übrigens sogenannte „Schneekranke“, die immer dann krank sind, wenn im Wetterbericht Schnee angekündigt wurde. Diese Leute kennen wir auch.
Bei meiner Busausbildung habe ich auf nur einer Kurzstrecke eine Schnelleinführung ins Fahren bekommen und ich bin froh, dass sie mich noch nie gefragt haben, ob ich am Busfahren Interesse hätte. Immer wenn ich so etwas gefragt wurde, habe ich mich schnell aus dem Staub gemacht. Ich wollte nicht in den Konflikt kommen, dazu gezwungen zu werden. Ich bin ein eingefleischter Straßenbahnfahrer, der, wie in jedem Beruf, natürlich auch mal einen schlechten Tag hat.
Toiletten für die Mitarbeiter
Der Toilettengang war für mich in den Anfangsjahren ein großes Problem, da ich andauernd zur Toilette musste. Da bin ich schier verrückt geworden. Aber das wussten wir eigentlich vorher, denn man sagte uns bereits bei der Einstellung, dass die WC-Verhältnisse dürftig sind. Wenn ich dann vorschlage, dieses oder jenes zu verbessern, sagt man mir nur, dass ich das doch vorher gewusst hätte.
Wegen dem ständigen Urindrang bin ich irgendwann zu einem Arzt gegangen, der mich untersucht hat, aber nichts finden konnte. Gott sei Dank. Ich habe dann aufgehört, Kaffee zu trinken, obwohl ich eigentlich eine richtige Kaffeetante bin. Das war schrecklich, weil das Aussetzen des Kaffeetrinkens mir Probleme bereitete. Manchmal, wenn ich gerade in der Endstelle ankam und dringend auf Toilette musste, saß auch jemand anderes darauf, der extrem lange braucht. Einmal wollte ich in die Werkstatt auf die Toilette gehen, die aber gerade sauber gemacht wurde, sodass ich mir dann noch Verspätung eingefangen habe. In einer anderen Endstelle gibt es ähnliche Probleme. Dort haben sie das Klo hinter einer Wartebank für die Bushaltestelle aufgestellt. Das ist peinlich, da das Fenster geöffnet ist und die wartenden Fahrgäste das Plätschern hören. Außerdem stinkt es darin, der Boden ist verunreinigt und die Behälter laufen auch des Öfteren mal über. Und darin muss ich mir dann noch die Hände waschen – da kriegt man doch mehr Bakterien an die Hände, als man vorher hatte. Daher vermeide ich es, diese Toilette zu besuchen, sondern lasse mich lieber bei einer Fahrtunterbrechung von einem anderen Mitarbeiter ablösen. Alles andere wäre eine Zumutung.
Diese Baustellen-Plastiktoiletten, die wir an den Endstellen stehen haben, möchte man als Frau sicher nicht unbedingt besuchen. Man hat in diesen Toiletten auch kein Licht, sobald man die Tür schließt. Also ist man gezwungen, die Tür einen Spalt offen zu lassen. Das ist keine schöne Sache. Da versuche ich lieber, keinen Kaffee beziehungsweise überhaupt nichts während der Fahrt zu trinken. Ich denke mir immer, dass ich das schon aushalten werde. Als Konsequenz habe ich Probleme mit der Niere bekommen, da ich zu wenig Flüssigkeit zu mir genommen hatte. Der Arzt fand letztlich doch noch eine körperliche Auffälligkeit und verschrieb mir mittlerweile Tabletten. Ich bin froh, dass ich mittlerweile keine Probleme mehr mit der Blase habe. Aber Durchfall ist ja noch schlimmer. Seit drei Jahren habe ich damit schon Probleme, etwa zu der Zeit, als mein Vater starb. Ich fragte den Arzt, ob man daran nicht auch etwas machen kann, worauf er mich auch endoskopisch untersuchte. Gott sei Dank haben sie dabei aber nichts gefunden. Der Arzt meinte, es wäre bei mir eine nervliche Sache. Sie glaube aber nicht, dass es geschäftliche, sondern eher private Ursachen hätte. Und da mir der Beruf Spaß macht und ich in der ganzen Zeit keine Probleme hatte, könne es am Beruf nicht liegen. Ich habe mir dann selber mit homöopathischen Mitteln geholfen.
Probleme mit älteren Straßenbahnen
Die alten Straßenbahnen kann man zwar abschließen, aber ich mache das ungern. Normalerweise müssen die Leute an der Endstelle die Straßenbahn verlassen, weil der Fahrer die Bahn verlässt. Aber man kann die Leute doch nicht außen vorlassen, wenn sie frieren, oder eine ältere Dame nicht hineinlassen. Viele Fahrer sind da sehr rigoros und lassen keine Leute in die Bahn hinein, sodass jene sich dann auch nicht mehr trauen, zu fragen. Ich aber fahre bis zum Toilettenhäuschen vor und lass die Menschen hinein, wenn sie frieren. Das sind eigentlich Kleinigkeiten, die für mich kein Problem darstellen, denn es reicht doch eigentlich, wenn man während des Toilettengangs die Fahrerkabine abschließt. Bei den älteren Straßenbahnen mit offener Fahrerkabine war mir das aber zu gefährlich und ich hätte dort alle meine Sachen mitnehmen müssen, einschließlich Fahrkurbel. Wenn ich also jemanden in einer älteren Bahn allein lasse, muss ich alle Türen abschließen und auch der Strom ist aus, weil ich den Fahrstrom abschalten muss, sobald ich die Bahn verlasse. Fällt dem Fahrgast dann ein, dass er doch nicht mitfahren möchte und gerade dann eine andere Bahn kommt, die er nehmen will, dann hat er ein Problem. Er drückt und drückt auf den Türöffner, aber es passiert nichts. Und dafür kann ich wiederum verantwortlich gemacht werden. Die ganz alten Straßenbahnen ohne jegliche Kabine fahre ich deshalb überhaupt nicht gerne.
Bei diesen Straßenbahnen sind auch die Trittstufen viel zu hoch, sodass alte Menschen und Personen mit Kinderwagen keine Chance haben. Bei den Traktionen, das sind zwei miteinander verbundene Straßenbahnen, muss man einundvierzig Meter Länge mit einem einzigen kleinen Spiegel überblicken. Es wundert mich, dass das überhaupt erlaubt ist. Der Betrieb macht das nur, um einen Fahrer einzusparen. Oder aber die Scheiben sind beschlagen und wenn ich dann das Gebläse einschalte, um freie Sicht zu erhalten, schleudert mir der ganze Dreck entgegen.
Sicherheit vor Pünktlichkeit
Sicherheit ist das Wichtigste. Es gilt für mich immer das Prinzip „Sicherheit vor Pünktlichkeit“, was einem auch in der Ausbildung beigebracht wird. Bei zum Beispiel eingleisigen Streckenabschnitten, wenn mir ein anderer Fahrer ein Zeichen gibt, dass ich mich beeilen soll, ist mir das relativ egal. Wenn mir jemand über Funk sagt, ich solle mich beeilen, kriegt er gar keine Antwort von mir. Die Antwort bekommen dann die Fahrer, die mir entgegenkommen, und manche wissen gar nicht, wie giftig ich werden kann, wenn man mich angreift. Ich bin zwar nicht frech gegenüber anderen, aber wenn mir jemand blöd kommt, gebe ich eine entsprechende Antwort. Denn ich will für sie nicht nur der Depp sein.